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Einleitung

Etwa 150 spannende Jahre (1500 – 1650) bestimmen die Blütezeit der Laute. In dieser Zeit liefert unser “Instrumentum Regina“ einen ganz wesentlichen Beitrag zur Entwicklung der abendländischen Musik und Kultur.

Sicherlich tauchen im letzten Drittel des 17ten Jahrhunderts die großen Barocklautenisten auf, aber das ist schon eine andere Zeit, geprägt durch den 30jährigen Krieg und damit steht sie in einem anderen Kontext zu unserem Thema. So finden wir die Laute bei den fahrenden Spielleuten und in den derben Schenken genau so, wie in den fürstlichen und königlichen Salons und in den sakralen Räumen der Klöster und Kirchen.

Für den heutigen Lautenisten gilt es diese Vergangenheit wieder lebendig werden zu lassen. So informiert er über einen Zeitraum, dessen kulturelles Potential noch heute in uns wirkt. Wenn wir genau hinhören, hilft der Klang und die musikalische Form uns zu erinnern und wir stehen in Resonanz zu jenen alten Tagen, in denen der Lautenspieler in seinem Saitenspiel von einer besseren Zeit träumte und uns mit seiner wundervollen Musik davon berichtet. 


Vom Wesen der Lautenmusik des 16. Jahrhunderts

Bei der Betrachtung der europäischen Lautenmusik des 16ten Jahrhunderts können wir nicht übersehen, dass die spanischen Vihuela-Kompositionen einen exponierten Stellenwert einnehmen.

Eigentlich ist Spanien aufgrund des „maurischen Problems“ mehr oder weniger an den Einflüssen der Renaissance vorbeigeschlittert ohne viel von den Möglichkeiten zu übernehmen, die diese Epoche anzubieten hatte. Sehen wir dazu nur auf die Kunst- und Kulturentwicklungen in Italien, z.B. in Florenz und Venedig. Trotzdem gab es natürlich in Spanien einige wenige Lautenisten. Vielleicht war daran das Edikt von Kaiser Karl dem V.  schuld, welches im Jahr 1525-26 in Kraft trat und damit jede nichtchristliche kulturelle Einflüsse wie Sprache, Musik etc. verbot. Sicherlich hatte man schon 1492 durch eine groß angelegte Aktion die Mauren des Landes vertrieben, aber Entwicklungen brauchen ihre Zeit, so dass die Vihuela erst in den frühen Jahren des 16ten Jahrhunderts in das musikalische Erscheinungsbild Spaniens tritt. Als Volksinstrument hatte die Vihuela schnell ihren Platz erobert. Man nutzte sie zur Gesangsbegleitung und in der Tanzmusik.

In der Musica sera trat in einem nur sehr kurzen Zeitrahmen von etwa 40 Jahren (ca.1535-75) eine kleine Gruppe von exzellenten Komponisten hervor, die uns eine ganz hervorragende Musik für die Vihuela hinterlassen haben.


Wir nennen folgende Komponisten und ihre Werke:

Komponist Werk
1. Luis Milan (1502-1561) El Maestro (1536)
2. Luys de Narvaez (1500-1555)       Libre Delphinde Musica (1538)
3. Alonso Mudarra (1508-1580) Tres Libros Musica en Citras para Vihuela (1546)
4. Enriques de Valderrabano Libro de Musica de Vihuela (1547)
5. Diego Pisador (1509-1557) Libro de Musica de Vihuela intitulado Silva de Sirenas (1552)
6. Miguel de Fuenllana ca. 1525 Orphenica lyra (1567)
7. Esteban Daca ca. 1537-1592 El Parnasso (1576)
8. Antonio de Cabazon Obras de Musica para tecla, Arpa e Vihuela (1578)

 

Die Basis dieser Kompositionen sind die Kirchentonarten und der Cantus Firmus, der sich durch eine polyphone Stimmenführung und Imitationen auszeichnet. Intavolierungen, also Bearbeitungen von polyphonen Vocalwerken, wie z.B. von geistlicher Musik, Madrigalen und Motetten, die Fantasia, erstmalig so von Luis Milan  benannt, Cancion, das Lied  und Diferencias, die Variationen wurden bearbeitet, komponiert und aufgeführt. Die Vorlagen dieser Werke finden wir  bei Jasquin, Moralis, Willaerd, Gabrieli, Orlando und andere. Interessant ist, dass sich alle Werke der spanischen Vihuela-Komponisten aus dem Mythos ableiten.

So finden wir bei Milan zu Beginn seines Werkes den interessanten Holzstich mit dem spielenden Orpheus (siehe dazu unter Instrumente: die Vihuela von Markus Dietrich nach dem Vorbild von Milan), bei Narvaez den Delphin, ein frühes christliches Symbol, unter anderem auch ein Seelenführer oder ein Hinweis auf das Unbewußte, bei Mudarra den Mercurius, Valderrabano liefert uns gleich Platon, die Sirenen, Orpheus und Apollo, Fuenllana, Orpheus, den tragischen Sänger, Pisador, ebenfalls Orpheus, den er Orfeo nennt, Daca nennt die 7 Musen und Apollo und Cabazon wieder Orpheus.


Mythos und Logos

Der Mythos ist immer ein Synonym dafür, dass sich das Göttliche in die Welt manifestiert hat. Wer sich mit dem Mythos verbindet, verbindet sich mit der Quelle und findet seine Wurzeln in der Transzendenz. Somit erlangen die Resultate des Schöpferischen eine wahre Bedeutung. Mit der zunehmenden Abkehr vom Mythos gewinnt sein Gegenspieler, der Logos Überhand und bestimmt seine Ordnung der Dinge, ein Problem der Spätrenaissance und der folgenden Epochen, welches sich durch den „Verlust des Heiligen“ (Mircea Eliade) auszeichnet. In unserer heutigen Zeit beginnen wir den Logos zu zerstören z.B. unser allgemeines Sprachniveau und die daraus entstehende Verwirrung der Begriffe und deren Bedeutung.

Man würde sagen, dass man früher Virtus und Ethos und einen tiefen Glauben, also ein reines Herz  an erster Stelle setzte, um aus dieser Basis heraus schöpferisch zu wirken. In der modernen Sprache hieße dies, dass unter der häufigeren Nutzung der rechten Gehirnhälfte und der Dominanz des Parasympaticus - verbunden mit dem Gebrauch einer aktiven Imagination - aus einem heiligen Raum heraus  Schöpferisches geleistet wurde. Man denke dabei nur an die großartigen Leistungen der Gedächniskunst. Das Resultat ist Kunst und nicht nur Können. Somit ist der Mythos wahr und der Logos real.

Doch kehren wir zurück zu unseren Vihuela-Spielern. Sie waren im Grunde ihres Wesens sehr spirituell ausgerichtet, obwohl ich bei Pisador und Daca meine Zweifel habe. Dennoch muss man anerkennen, das diese Meister mit der Bündigkeit und der Effizienz ihrer Werke grundlegend dazu beigetragen haben, dass sich die Lautenmusik in den Jahren von etwa 1500 -1600 so phantastisch entwickeln konnte. Durch die Hauptform der Lautenmusik, die Fantasia, wurde auf das Bewußtsein des damaligen Menschen ein besonderer Einfluss ausgeübt. Das Ricercar, die Vorstufe der Fantasia,  kann mit „Suchen, Forschen“(sic) übersetzt werden und es verwundert uns nicht, dass die Entwicklung der Naturwissenschaften in diesen hundert Jahren einen so eindrucksvollen Aufstieg vollziehen konnte. In der Tat, in keiner anderen Epoche wurden so viele Fantasien für ein Instrument  geschrieben wie in der Renaissance für die Laute.Auch in der Malerei entwickelte sich erst in diesem Jahrhundert die Dreidimensionalität.

Angeregt durch seine Fantasie und die daraus entstehenden Imaginationen wurde es dem Menschen möglich, diesen gewaltigen Aufschwung zu vollziehen. Aber er bemerkte zunächst nicht, dass er sich von der Quelle und der Transzendenz ablöste. So zeigt sich diese Entwicklung gleichnishaft in der Familie Galilei auf, wo Kunst und Wissenschaft so nahe beieinander lagen, dass sie in ihrem Rahmen zu den Entwicklern einer neuen Zeitepoche wurden, also neben anderen das Barockzeitalter mit vorbereiteten, eine Epoche, in der sich die Angst immer weiter ausdehnte und sich in der strengen Regel einer musikalischen Form, der Fuge (= Flucht) aufzeigte.

Doch kehren wir zu der Lautenmusik der Renaissance zurück.

Auch hier treffen wir in der Frührenaissance die Bindung an den Mythos wieder. So finden wir in der Entwicklungsgeschichte der arabischen Laute Al-Oud eine klassische Analogienkette des Mythos von Lucifer, Gabriel, Mond, Silberklang, Melancholia, Stein, Saturn usw. wieder. Später hören wir von dem Mythos von Kastor und Pollux, zwei Begriffe, die von Schönheit und Stärke berichten, Worte, die in den frühen Geheimgesellschaften der Bünde und Bauhütten eine bedeutende Rolle spielten   (Die Säulen Jakin und Boas). Auch die pytagoräischen Monocordstudien spielen hier eine außerordentliche Rolle. Der Mythos der Melancholie führt uns von Hypokrates und Galen durch die gesamte Antike hindurch bis hin zu den spanisch-arabischen Philosophen Averroes (1126-1198) dem großen Kommentator des Aristoteles, der in seinen Schriften einen starken Einfluss auf  die folgenden Jahrhunderte ausübte.

Gerade die Melancholie steht im Zusammenhang mit der Lautenmusik an exponierter Stelle. Basierend auf der Vier-Säfte-Lehre eines Galen oder auch Vier-Temperamente-Lehre, bezieht sich die Melancholie, auch als Mönchskrankheit bezeichnet, auf jenen Typus Mensch, der den Verlußt des Himmels beklagt, der sich weigert seine Unvollständigkeit zu akzeptieren und die Sehnsucht nach den seligen Gefilden aufrecht erhält. Die Laute kommt dieser emotionalen Grundhaltung vollkommen entgegen. Ihr trauriger Silberklang regt die archetypische Erinnerung an das „goldene Zeitalter“, das unter der Herrschaft des Saturn stattfand und lässt die Sehnsucht nach dem Ursprung entstehen. Man denke nur an das melancholisch-poetische Werk des Walter von der Vogelweide „Ich saß auf einem Stein…“ ,wobei der Stein gleich dem Saturn = dem goldenen Zeitalter = dem Temperament der schwarzen Galle = der Melancholie etc. steht.

Hier finden wir gleichermaßen die Wurzel der Vihuela-  und Lautenkomponisten, die diesen Status knapp 80 Jahre aufrecht erhalten konnten. Wir sollten in diesem Zusammenhang auch auf den Titel „IL DIVINO“ näher eingehen. Dieses Prädikat spricht vom „Wirken durch Gott“ (Theurgie), was sich bei einem Lautenisten durch die Komposition, Spielweise und durch seine Interpretation auszeichnet.


IL DIVINO

Nur sehr wenige Lautenmeister haben diesen Status erreicht. Ich nenne da:

Luis Milan   (1502 - 1561)

Francesco Canova de Milano (1497 – 1543)

Laurencino de Roma ( ca. 1550)

Valentin Bakfark  (Greff Bakfare) ( 1507 – 1576)

Aus meiner Sicht kämen für diese Auszeichnung noch

Albert de Rippe  ((ca. 1510)-Premier Livre de Tabulatur de Leut (Paris 1552))

und vielleicht auch John Dowland (1563 – 1626)

in Frage, obwohl Dowland zu sehr seine Subjektivität in die allgemeine Öffentlichkeit eingebracht hat.

Wir wissen von Luis Milan, dass er ein Poet war und ausgezeichnet auf der Vihuela improvisieren konnte, was ja auch seinen Kompositionsstil auszeichnet und ihm seine Beliebtheit an den spanischen Höfen garantierte. Sicherlich hatten die Vihuelameister auch Lauten, hielten diese aber aus bestimmten Gründen versteckt (s.o).

Bei Francesco paart sich die reine Auffassung der Musik mit der Abwendung hin zum Logos. Ein typisches Beispiel ist das Ricercar Nr. 57 auch „La Compagna“genannt. Das flehende Thema Quinte kleine Sexte Quinte ist bei Francesco ein Grundthema, welches in zahlreichen seiner Fantasien und Ricercare zu finden ist. In der technisch sehr interessanten Durchführung mit den zahlreichen Imitationen spürt der Interpret deutlich die im Komponisten aufsteigende Angst. Ab Takt 49 beginnt er nochmal mit dem Thema, nur im doppelten Tempo und sequenziert dann kurze rhythmische Imitationen, die dieses bestimmte Gefühle der Angst entstehen lassen. Einige Jahrzehnte später finden wir unter dem starken Einbezug der Dissonanz bei Michelangelo Galilei diesen qualvollen Aufruf wieder. Am Ende seiner Toccata Nr. VIII treten am Ende dieses Stückes dissonante Intervalle auf, die wie angstbestimmtes „may-day, may-day….“ erscheinen.

Bei Laurencino de Roma (ca. 1550) finden wir einen tiefgründigen polyphonen Kompositionsstil von einem sehr hohen Niveau. Die von John Dowlands Sohn Robert Dowland herausgegebenen „Varietie of Lute-Lessons (1610)“ enthalten zwei wunderschöne Fantasien Laurencinos, die diesem Niveau entsprechen.

Andere Werke von ihm finden wir bei: Jean Babtiste Besarde: Thesaurus harmonicus (1603)

Valentin Bakfark  (Greff Bakfare) (ca. 1530 -1576) ist einer der rätselhaftesten Lautenisten der europäischen Lautenmeister. Ihm wurde Titel „Il Divino“ 1559 von Herzog Albrecht von Brandenburg verliehen, den Valentin Bakfark durch seine Lautenmusik von seinen Beschwerden heilte. Vielleicht müsste man einmal über die segensreichen Heilwirkungen der Lautenmusik schreiben.

In diesem kleinen Rahmen ist es unmöglich die etwa 100 Lautenmeister zu besprechen, die einen bestimmenden Einfluss auf die Renaissance ausgeübt haben. Ich möchte aber die folgenden Komponisten und ihre Werke zumindest noch erwähnen:

Im ersten Drittel des 16 Jahrhunderts finden wir an besonders herausragenden Lautenkomponisten Vincento Capirola (1474-1548), Marco dall‘ Aquila (ca. 1480-1537) und  Francesco Canova de Milano (1497-1543). Capirola’s Kompositionsstil ist interessant und atemberaubend, seine Anweisungen für die Spieltechnik der Renaissancelaute (Thumb under) sind heute noch mustergültig und werden von den großen Vertretern der Lautenmusik wie Paul O’Dette und Hopkinson Smith genutzt. Aquila’s Fantasien sind großartige polyphone Werke und seine Ricercare und Traditoras klingen bezaubernd und sollten viel häufiger gespielt werden.

Erwähnen möchte ich noch Pietro Paulo Borrono und Giovanni Maria da Crema. Letzterer zeichnet sich als ein genialer Kontrapunktiger aus. Seine Ricercare sind von hohem musikalischen Niveau. Borrono hat ganz ausgezeichnete Lautenkompositionen geschrieben. Zu Unrecht stand er immer im Schatten von Francesco.

Alberto Ripa (Albert de Rippe ca. 1510) nimmt eine Sonderstellung ein. Er wechselte seine Nationalität und ging nach Frankreich. Seine Kompositionen sind tief und gehaltvoll, geprägt von einer tiefen Religiosität und kontrapunktischer Meisterschaft, die sein Schüler Guillaume Morlaye nicht erreichte.

Aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts möchte ich Giulio Cesare Barbetta (ca. 1540-1603) und Simon Gintzler (ca. 1550) erwähnen. Gintzler gelang eine geschickte Verknüpfung von italienischen und deutschen Lautenstilelementen. Seine 6 Ricercare sind ein Muss für jeden Lautenisten.

Valentin Bakfark  (Greff Bakfare) (ca. 1507 -1576) nimmt ebenfalls eine Sonderstellung der europäischen Lautenmeister ein und leider fehlt hier der Raum um diesen Lautenisten zu würdigen. Dann möchte ich noch Adrian Denss und sein Florilegium (1594) nennen. Die Tiefe seiner großen Fantasien hinterlässt ein Staunen und Ehrfurcht.

Für Deutschland dürfen wir Melichor Newsindler(1531 -1590/91) als den bedeutesten Lautenmeister nicht unerwähnt lassen. Aus einer genialen Lautenistenfamilie entstammend entwickelte er neue Wege. Seine Kompositionen zeugen von Tiefe und excellenter Sachkenntnis.

Abschließend möchte ich mich entschuldigen bei den nicht namentlich genannten Lautenisten. Ihnen gilt mein Dank und mein tief empfundener Respekt.

(c) Copyright August 2009 by Sigurd Schmidt

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Vom  17. Jahrhundert  bis in die Neuzeit


Im letzten Drittel des ausgehenden 16. Jahrhunderts entstehen in Frankreich Impulse einer neuen Empfindsamkeit, die sehr schnell den sogenannten „ französischen Stil“ bestimmten.

Dieser Stil erobert zügig die europäischen Länder, vorzüglich Italien und Deutschland und erreicht so die Konzertsäle, die Höfe und damit den interessierten Zuhörer.

Und dieser Stil kommt an. Seine Mittel sind eine bestimmte musikalische Naivität, Akkordfolgen und Sequenzen in fast schmerzhafter Folge, liedhafte Teile, nur spärliche kontrapunktische Einschübe, eine besondere Art der Dissonanzbehandlung, technisch anspruchsvolle virtuose Techniken und es entwickelte sich eine neue Spieltechnik.

Der Einsatz der Dissonanz ist einmal auf die Art der Komposition und zum anderen auf die Eigenart der Barocklaute zurückzuführen. Für den kundigen Zuhörer entsteht der Eindruck mit dem „Schmerz des Unerlösten“ konfrontiert zu werden, was diese melancholische Spannung speziell in der  Lautenmusik so einzigartig und wertvoll macht.

In Italien wird dieser Stil  als „Cinquecento“ (fünfhundert) geringschätzig genannt, aber dort wo das Genie anwesend ist, muss auch das Wertvolle, das Inhaltliche entstehen.

Dazu gehören in Italien auf jeden Fall:

Giovanni Antonio Terzi - Intavolatura di Liutto Venedig  1593
  - Il secondo  libro de Intavolatura Venedig  1599

Die Kompositionen Terzis sind für die 7-chörige Laute gesetzt und zeichnen sich durch ein sehr hohes Niveau spielerischer Technik aus. Verbunden mit einer anspruchsvollen Rhythmik entstehen zauberhafte virtuose Stücke, die heute aufgrund des hohen Schwierigkeitsgrades kaum noch oder sehr selten gespielt werden. Wir finden in den Kompositionen immer noch gute handwerkliche kontrapunktische Einschübe, die Nutzung der höheren Lagen und interessante musikalische Themen. Intavolaturen, also Bearbeitungen von Vokalsätzen – teils geistlicher Musik – wunderschöne Saltarelli stimmen das Bild ab.

Noch eindrucksvoller erscheint uns:

Simone Molinaro (ca.1570-1634)    - Intavolatura di Liuto Primo  (Venedig 1599)

Die Geburtsdaten dieser Komponisten sind nicht gesichert und müssen noch erarbeitet werden. Molinaro, als der bedeutende Schüler des so tragisch ums Leben gekommenen Lautenisten Giovanni Battista dalla Gostena führte nach dessen Tod die Stellung des Kapellmeisters in der Kathedrale von San Lorenzo weiter. Er verarbeitete in seinen teilweise sehr anspruchs-vollen Kompositionen u.a. Intavolaturen von Psalmen, Motetten, Fantasien und Saltarellos von zauberhafter Impression und seine Stücke weisen sich durch ein hohes Niveau an musikalischer Reife und Spieltechnik aus.

Michelangelo Galilei (nach 1575)     - I. Libro d’Intavolatura di Liuto (München 1631)

Das Geburtsdatum stammt aus seinem Horoskop, welches von seinem Bruder G. Galilei erstellt wurde. Die Familie Galilei hat zwei bedeutende Lautenisten hervorgebracht. Vincento Galilei, der Vater des großen Naturwissenschaftler Galilei Galilei war ein großer Renaissance-Lautenist. Der Bruder des genialen Naturwissenschaftlers Michelangelo, der als einer der Vorbereiter des Lauten-Barock angesehen werden darf, besetzte eine Stellung als Lautenist am Bayrischen Hof.

Seine Musik, im „Styl-brisse“ geschrieben, ist sehr hochwertig und hintergründig . Seine Dissonanzbehandlung erinnert an die Manier des außergewöhnlichen Lautenisten und Virtuosen J. H. Kapsberger (1604 -1650) und er setzte in sehr geschickter Art und Weise konsequent alle tiefen Bass-Chöre der Laute in seinen Kompositionen mit ein. Seine Werke sind  bemerkenswerte Beispiele für die Tatsache, dass sie ausschließlich für die 10-chörige Laute komponiert wurden(sic) und das sie in ihrer Tiefe und Klangfülle zu den schönsten Werken des Früh-Barock gelten mögen.

Unter den  Vertretern Deutschlands finden wir Elias Mertel und Georg Leopold Fuhrmann.

Elias Mertel (?)                                 - Hortus musicalis  (Straßburg 1615)

In seinem Werk finden wir neben den üblichen Bearbeitungen, Intavolaturen und Fantasien eine Fülle von Praeludien, die einen fast romantischen Eindruck beim Zuhörer hinterlassen. Mertel schwelgt in harmonischen und interessant gesetzten Sequenzen , die zumeist in zweistelligen  Folgen genutzt werden. Erst Bach forderte, dass in der Sequenzfolge die Drei nicht überschritten werden sollte.

Georg Leopold Fuhrmann (1578 -1616)  - Testudo Gallo Germanica   (Nürnberg 1615)

In seinem umfangreichen, mehr als 600 Seiten umfassenden Tabulaturbuch finden wir John Dowland, Diomedes, H. L. Hasler, L. Romanus, Fuhrmann selber, E. Mertel und viele andere Vertreter unserer Zunft. Mit Sicherheit ist sein Werk eines der bedeutungsvollsten Lautenwerke überhaupt. Die Auswahl der Stücke ist sehr anspruchsvoll und liegt weit über dem Schwierigkeitsgrad normaler Anforderungen hinsichtlich von Musikalität und Technik.

Aus dieser Situation heraus begibt man sich in Frankreich auf die Suche nach neuen Wegen. Der gerade begonnene Frühbarock stellt neue Ansprüche an die Komponisten und deren Instrumente. Neue musikalische Formen treten in unser Erscheinungsbild und eine fieberhafte Suche nach der richtigen Lösung bestimmt die Entwicklung.

Zunächst erschien es so, dass die 10-chörige Laute, die etwa gegen 1620-30 (Matteo Sellas – Venedig) ihren Höhepunkt hinsichtlich ihrer Bauweise, Mensur und Klangstruktur erreichte, die Ansprüche der neuen Idealisten erfüllen würde (vide Michelangelo Galilei). Aber das Gegenteil war der Fall! Unter unsäglichen Mühen wurde die Barocklaute entwickelt. Dabei entstanden die abenteuerlichsten Formen und Stimmungen. Allein was die Stimmung des neuen Instrumentes betrifft, probierten die Lautenisten mit mehr als an die 30 verschiedenen Möglichkeiten. Man ahne, der Logos hatte das gesamte Programm übernommen.

Die musikalischen Formen wie die Passacaille und die Chaconne forderten neue tiefere Chöre und die Suite eroberte die Lautenisten. Was in der Renaissance die Fantasia bedeutet, wurde in der neuen Epoche die Suite in ihrer Folge bekannter Tanzformen.

Es gab auch Lautenisten wie z.B. Giovanni Zambini der seine Suiten als Sonaten bezeichnete, - wie später auch L.S.Weiss u.a. -  die in der üblichen Form europäischer Tänze wie: Prelude, Allemande, Courante, Sarabande, Gavotte und Gigue komponiert und ausgeführt wurden. Mit der Sonatenhauptsatzform, die etwa 120 Jahre später eine neue Epoche eroberte, hat diese Form der Sonaten des 17. Jahrhunderts nichts zu tun.

Der Mythos hatte sich in die „seligen Gefilde“ zurückgezogen. Sicherlich gab es Versuche den Mythos zu erreichen.

Wir denken an:

Denis Gaultier (1610-1672)

 

- La Rhetorique des Dieux    (1757)

 

Edmond Gaultier (1635-1683) - Pieces de luth sur trois differens modes nouveaux  (ca. 1650)
  Seine Suiten erschienen auch in “Livre de Tabulature”
  Herausg. Denis Gaultier 1672

Denis Gaultier betitelt seine Suitenteile mit höchst inspirativen Namen wie beispielweise:

Adromede, Diane, Atalante, mars superbe, Cleopatre amante u.a.. Alles Bezeichnungen, die aus dem Mythos entlehnt wurden. Dasrhythmische Metrum orientiert sich, z. B. als lazive gespielte punktierte Achtelwerte unter anderem angelehnt an die sogenannte cakewalk-Figur (1/16-1/8-1/16), eigentliche  Jazzrhythmiken, die hier grundsächlich für die Achtelnotierung stehen und  beim Zuhörer spannende und verträumte, inspiritative und meditative Eindrücke hinterlassen. Aus der Schule der Gaultier‘s sind viele ausgezeichnete Barocklautenisten hervorgegangen. So finden wir unter den Vielen Namen wie: Mouton, Gallot, Du But ,Du Faux, Phillip Franz le Sage de Richee u.a. Ein anderer Musiker, Francesco Corbetta (1620-1748), der am Hofe Ludwig des 14. wirkte,  begründete ebenfalls eine bedeutende Schule aus denen Lautenisten und Gitarristen (Barockgitarre), wie z. B. Robert de Visee (1660-1720), der ebenfalls als Theorbist und Gitarrist am Hofe angestellt war, hervorgingen.

Es gibt einer Fülle von nennenswerten Barocklautenisten, die hier leider aus Platzgründen nicht erwähnt werden können. Allerdings müssen wir auf das vielleicht größte Genie der barocken Lautenkunst Leopold Silvius Weiss eingehen. Neben den deutschen Lautenisten wie: E. Reussner, Matthäus Reymann, E. G. Baron, A. Falkenhagen, J. Laufensteiner, Meusel, J. G.Conradi u.a. tritt der Lautenist L. S. Weiss als  Musiker, Komponist und Virtuose als letzter bedeutender Lautenist deutlich aus diesem Kreis hervor.

Leopold Silvius Weiss (1686-1750) Intavolatura di Liuto
  Königsburger Manuscript
  Moskauer Manuscript
  Dresdner Manuscript
  Swan Manuscript

L.S. Weiss stellt die Idealfigur des Barocklautenisten dar. Virtuose Lautentechnik, Kompositionen von höchstem Anspruch, nominierter Kammermusikmeister, meisterhafter improvisierender Continuo-Spieler und Theorbist; -  und schöpferische Energie bis in Alter. Er pflegte eine gute Freundschaft mit J. S. Bach, war mit einer Lautenistin verheiratet und hatte sieben Kinder.

Er bereiste als konzertierender Lautensolist viele deutsche Städte, residierte in Polen, und Prag, um schließlich  seine Heimat in Dresden zu finden. Die Fülle seines Schaffens ist gigantisch und durchweg sind seine Kompositionen von hohem Niveau. Man  müsste ein Buch über ihn schreiben und unsere wenigen Zeilen werden ihm in keinerlei Weise gerecht. Mit diesem Urgestein eines Musikers nähert sich der Lautenbarock seinem Ende zu.

Man kann nach Weiss noch Lautenisten wie z.B. David Kellner (1747- Auserlesene Lautenstücke) und einige andere Lautenisten erwähnen, aber die Vollendung der Lautenkunst wurde in krönender Weise durch L. S.Weiss vollzogen. Erneut begann sich die musikalische Welt zu verändern. Die Phänomenologie tritt nun noch deutlicher in unser zeitliches Erscheinungsbild.

Der Ruf nach lauteren Instrumenten degradierte die Lauten und Lautenspieler derart, dass kaum noch nach ihnen gefragt wurde. Es gab immer weniger herausragende Solisten und man musste als Lautenist als Continuospieler sein musikalisches Dasein fristen.  Die Theorbe wurde nun benötigt, Rasgueadoanschläge auf der Barockguitarre brauchte es um noch ein wenig gehört zu werden. Nun, nur die Wahrheit ist beständig und Wirklichkeit sucht ihre Bestätigung  und Bestimmung in der Veränderlichkeit.  Wen wundert es, dass die Laute aus den Klöstern, Kirchen und Konzertsälen verschwand. Nach Ausbruch der  Französischen Revolution (1789) wurden auch die Clavicorde und Cembalie, gleich mit zerstört und das sogenannte Hammerklavier eroberte allmählich die Salons und Konzertsäle.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts führte die Geltungssucht frustrierter Haustöchter dazu dieses Instrument über Gebot zu maleträtieren (Theodor Adorno). Die Situation war eindeutig und unveränderlich. Die Lauten, ihre Musik und Ihre Interpreten verschwanden aus dem Bewusstsein der Menschen und ganz Europa suchte nach Ufern neuer Erfahrungen.

 


DIE NEUZEIT


Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts entwickelte sich der Wunsch nach einem Instrument, das leicht transportierbar ist und mit dem man unter Verwendung weniger Akkorde – die aus Grifftabellen abgelesen wurden - Lieder begleiten konnte.  Aus diesem Wunsch entstand eine fast unheimlich Menge an Nachfragen nach sechssaitigen Gitarren in ungenügender Qualität;  keine Chöre, nur Metallbünde und das war es. Gleich so entstand ein bürgerliches Liedergut, was sich zumeist an drei Akkorde orientierte, poetischen Texten, zu denen sich fast jeder berufen fühlte und die in billigen Drucken den Markt überfluteten.

Verbunden mit einer weniger schmeichelhaften Wald- und Wiesenphilosophie eroberte dieses Instrument ganz Europa und darüber hinaus. Findige Instrumentenbauer sprangen auf diesen Trend auf und  besannen sich auch auf die alten Lauteninstrumente, die nun als sechssaitiger Abklatsch mit ausgekerbten Griffbrettern und mit bunten Bändern verziert das unechte Milieu der sogenannten Jugend – und Volksmusik bestimmte.  Niemand konnte vorrausehen, dass dieser Trend sich weltweit fortsetzen würde und sich etwa 150 Jahre später zu einer gewaltigen und umfassenden Bewegung entwickeln würde.

Es war Walter Gerwig (1899-1966), der aus der Jugendbewegung heraustrat und sich mit aufopfernder Hingabe um die Laute und ihre Wiedergeburt bemühte  und für eine allmähliche Neueinsetzung des Lautenspiels sorgte. Er besetzte eine Dozentur an der Berliner Staatlichen Akademie für Kirchen- und Schulmusik, später bekam er einen Lehrauftrag an der Hochschule Köln und unternahm  ausführliche Konzertreisen durch Deutschland.

Mehrere Schallplatten wurden produziert und 1965, ein Jahr vor seinem Tod wurde ihm der Schallplattenpreis für seine Einspielung der G-Moll Suite Johann Sebastian Bachs (BWV 995) verliehen. Der Lautenbauer Hans Jordan wurde von W.Gerwig inspiriert und entwickelte Renaissance- und Barocklauten, die  zu jener Zeit sehr gefragt waren. Walter Gerwig ist der Einzige,  die Lichtfigur, der wir diese Wiederbelebung zu verdanken haben und kritische Anmerkungen, dass zu jener Zeit noch nicht die richtigen Spieltechniken (Daumenunter etc.) benutzt wurden und das Tabulaturen und historische Drucke zu wenig genutzt wurden verlieren ihre Bedeutung, wenn man die Umstände richtig erfasst.

Allein sein Verdienst ist es, das es heute wieder Lautenspieler von ausgezeichnetem Niveau gibt. Nur leider vergessen so viele in diesem  Zusammenhang wo ihre wahren Wurzeln zu finden sind, eine Tatsache, die nicht selten zu Irrtümern führt. Zu seinen hervoragenden Schülern gehören: Eugen Müller-Dombois, Michael Schäffer, Eike Funck,  Kristian Gerwig u.a. Es sei hier nochmals darauf hingewiesen, dass die historischen Spieltechniken zwischen Renaissancelaute und Barocklaute grundlegend unterschiedlich sind(sic). Immer wieder zeigen sich Missverständnisse auf, selbst an einigen Hochschulen kommen diese Irrtümer leider immer noch vor.

Eine weitere Persönlichkeit besetzt eine hervorragende Stelle in der Wiederbelebung der Laute und ihrer Musik. Es handelt sich um den ausgezeichneten englischen Gitarristen Julian Bream (+1933), der mit seiner hervorragenden Technik seine Zuhörer faszinierte.

Leider können wir an dieser Stelle nicht auf die historische Bedeutung der Laute in England eingehen, ein Land, das im Gegensatz zu Deutschland seine musikalischen Wurzeln hinsichtlich des Lautenspiels nie vergessen hat. Die äußerst interessante Geschichte der englischen Lautenmusik und ihrer großen Vertreter bedarf einer eigenständigen Untersuchung und Arbeit.

J. Bream nutzte einen ganz anderen Ansatz als Gerwig um die Laute wieder konzertreif zu machen. Es ging ihm darum, die Laute neu zu gestalten und ihre Lautstärke anzuheben und sie in den höheren Lagen besser spielbar zu machen. So ersetzte er die Naturdarmbünde durch fest eingesetzte Metallbünde. Auf diesem Instrument spielte er in der modernen typischen Nageltechnik mit angelegtem Wechselschlag. Die oberen 3 Chöre ersetzte er durch Einzelsaiten, was den Klang erheblich veränderte oder besser verfälschte.

Er gab selbst zu, kein Lautenist zu sein; trotzdem hat er sehr viel für die Laute getan. England hat aufgrund seiner historischen Wurzeln immer eine ganz besondere Beziehung zur Laute und Lautenmusik gehabt und Bream wurde  begeistert angenommen und erwarb im Laufe der Zeit eine weltweite Anerkennung. Walter Gerwig und Julian Bream waren die grossen Vorläufer einer erneuten Bewegung, die Lautenisten wie Paul O’Dette und Hopkinson Smith, Robert Barto u. a. hervorbrachte.

Auch der Lautenbau ging neue Wege. Heute werden Lauten in der „leichten Bauweise“ bevorzugt. Diese Instrumente sind durchaus in der Lage in den größeren Konzertsälen, Kirchen, Klöstern etc. deutlich hörbar zu sein. So konzertiere ich ohne Übertragungstechnik  häufiger in Kirchen, die mehr als 800 Personen fassen, wobei die gespielten Lauten akustisch und im musikalischem Ausdruck hervorragend wahrzunehmen sind. Historisch belegte Anschlagstechniken runden das heutige Lautenspiel harmonisch ab.


(c) Copyright August 2009 by Sigurd Schmidt, Kap Arkona- Rügen, August 2010