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Mythos und Logos

Der Mythos ist immer ein Synonym dafür, dass sich das Göttliche in die Welt manifestiert hat. Wer sich mit dem Mythos verbindet, verbindet sich mit der Quelle und findet seine Wurzeln in der Transzendenz. Somit erlangen die Resultate des Schöpferischen eine wahre Bedeutung. Mit der zunehmenden Abkehr vom Mythos gewinnt sein Gegenspieler, der Logos Überhand und bestimmt seine Ordnung der Dinge, ein Problem der Spätrenaissance und der folgenden Epochen, welches sich durch den „Verlust des Heiligen“ (Mircea Eliade) auszeichnet. In unserer heutigen Zeit beginnen wir den Logos zu zerstören z.B. unser allgemeines Sprachniveau und die daraus entstehende Verwirrung der Begriffe und deren Bedeutung.

Man würde sagen, dass man früher Virtus und Ethos und einen tiefen Glauben, also ein reines Herz  an erster Stelle setzte, um aus dieser Basis heraus schöpferisch zu wirken. In der modernen Sprache hieße dies, dass unter der häufigeren Nutzung der rechten Gehirnhälfte und der Dominanz des Parasympaticus - verbunden mit dem Gebrauch einer aktiven Imagination - aus einem heiligen Raum heraus  Schöpferisches geleistet wurde. Man denke dabei nur an die großartigen Leistungen der Gedächniskunst. Das Resultat ist Kunst und nicht nur Können. Somit ist der Mythos wahr und der Logos real.

Doch kehren wir zurück zu unseren Vihuela-Spielern. Sie waren im Grunde ihres Wesens sehr spirituell ausgerichtet, obwohl ich bei Pisador und Daca meine Zweifel habe. Dennoch muss man anerkennen, das diese Meister mit der Bündigkeit und der Effizienz ihrer Werke grundlegend dazu beigetragen haben, dass sich die Lautenmusik in den Jahren von etwa 1500 -1600 so phantastisch entwickeln konnte. Durch die Hauptform der Lautenmusik, die Fantasia, wurde auf das Bewußtsein des damaligen Menschen ein besonderer Einfluss ausgeübt. Das Ricercar, die Vorstufe der Fantasia,  kann mit „Suchen, Forschen“(sic) übersetzt werden und es verwundert uns nicht, dass die Entwicklung der Naturwissenschaften in diesen hundert Jahren einen so eindrucksvollen Aufstieg vollziehen konnte. In der Tat, in keiner anderen Epoche wurden so viele Fantasien für ein Instrument  geschrieben wie in der Renaissance für die Laute.Auch in der Malerei entwickelte sich erst in diesem Jahrhundert die Dreidimensionalität.

Angeregt durch seine Fantasie und die daraus entstehenden Imaginationen wurde es dem Menschen möglich, diesen gewaltigen Aufschwung zu vollziehen. Aber er bemerkte zunächst nicht, dass er sich von der Quelle und der Transzendenz ablöste. So zeigt sich diese Entwicklung gleichnishaft in der Familie Galilei auf, wo Kunst und Wissenschaft so nahe beieinander lagen, dass sie in ihrem Rahmen zu den Entwicklern einer neuen Zeitepoche wurden, also neben anderen das Barockzeitalter mit vorbereiteten, eine Epoche, in der sich die Angst immer weiter ausdehnte und sich in der strengen Regel einer musikalischen Form, der Fuge (= Flucht) aufzeigte.

Doch kehren wir zu der Lautenmusik der Renaissance zurück.

Auch hier treffen wir in der Frührenaissance die Bindung an den Mythos wieder. So finden wir in der Entwicklungsgeschichte der arabischen Laute Al-Oud eine klassische Analogienkette des Mythos von Lucifer, Gabriel, Mond, Silberklang, Melancholia, Stein, Saturn usw. wieder. Später hören wir von dem Mythos von Kastor und Pollux, zwei Begriffe, die von Schönheit und Stärke berichten, Worte, die in den frühen Geheimgesellschaften der Bünde und Bauhütten eine bedeutende Rolle spielten   (Die Säulen Jakin und Boas). Auch die pytagoräischen Monocordstudien spielen hier eine außerordentliche Rolle. Der Mythos der Melancholie führt uns von Hypokrates und Galen durch die gesamte Antike hindurch bis hin zu den spanisch-arabischen Philosophen Averroes (1126-1198) dem großen Kommentator des Aristoteles, der in seinen Schriften einen starken Einfluss auf  die folgenden Jahrhunderte ausübte.

Gerade die Melancholie steht im Zusammenhang mit der Lautenmusik an exponierter Stelle. Basierend auf der Vier-Säfte-Lehre eines Galen oder auch Vier-Temperamente-Lehre, bezieht sich die Melancholie, auch als Mönchskrankheit bezeichnet, auf jenen Typus Mensch, der den Verlußt des Himmels beklagt, der sich weigert seine Unvollständigkeit zu akzeptieren und die Sehnsucht nach den seligen Gefilden aufrecht erhält. Die Laute kommt dieser emotionalen Grundhaltung vollkommen entgegen. Ihr trauriger Silberklang regt die archetypische Erinnerung an das „goldene Zeitalter“, das unter der Herrschaft des Saturn stattfand und lässt die Sehnsucht nach dem Ursprung entstehen. Man denke nur an das melancholisch-poetische Werk des Walter von der Vogelweide „Ich saß auf einem Stein…“ ,wobei der Stein gleich dem Saturn = dem goldenen Zeitalter = dem Temperament der schwarzen Galle = der Melancholie etc. steht.

Hier finden wir gleichermaßen die Wurzel der Vihuela-  und Lautenkomponisten, die diesen Status knapp 80 Jahre aufrecht erhalten konnten. Wir sollten in diesem Zusammenhang auch auf den Titel „IL DIVINO“ näher eingehen. Dieses Prädikat spricht vom „Wirken durch Gott“ (Theurgie), was sich bei einem Lautenisten durch die Komposition, Spielweise und durch seine Interpretation auszeichnet.