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Vom  17. Jahrhundert  bis in die Neuzeit


Im letzten Drittel des ausgehenden 16. Jahrhunderts entstehen in Frankreich Impulse einer neuen Empfindsamkeit, die sehr schnell den sogenannten „ französischen Stil“ bestimmten.

Dieser Stil erobert zügig die europäischen Länder, vorzüglich Italien und Deutschland und erreicht so die Konzertsäle, die Höfe und damit den interessierten Zuhörer.

Und dieser Stil kommt an. Seine Mittel sind eine bestimmte musikalische Naivität, Akkordfolgen und Sequenzen in fast schmerzhafter Folge, liedhafte Teile, nur spärliche kontrapunktische Einschübe, eine besondere Art der Dissonanzbehandlung, technisch anspruchsvolle virtuose Techniken und es entwickelte sich eine neue Spieltechnik.

Der Einsatz der Dissonanz ist einmal auf die Art der Komposition und zum anderen auf die Eigenart der Barocklaute zurückzuführen. Für den kundigen Zuhörer entsteht der Eindruck mit dem „Schmerz des Unerlösten“ konfrontiert zu werden, was diese melancholische Spannung speziell in der  Lautenmusik so einzigartig und wertvoll macht.

In Italien wird dieser Stil  als „Cinquecento“ (fünfhundert) geringschätzig genannt, aber dort wo das Genie anwesend ist, muss auch das Wertvolle, das Inhaltliche entstehen.

Dazu gehören in Italien auf jeden Fall:

Giovanni Antonio Terzi - Intavolatura di Liutto Venedig  1593
  - Il secondo  libro de Intavolatura Venedig  1599

Die Kompositionen Terzis sind für die 7-chörige Laute gesetzt und zeichnen sich durch ein sehr hohes Niveau spielerischer Technik aus. Verbunden mit einer anspruchsvollen Rhythmik entstehen zauberhafte virtuose Stücke, die heute aufgrund des hohen Schwierigkeitsgrades kaum noch oder sehr selten gespielt werden. Wir finden in den Kompositionen immer noch gute handwerkliche kontrapunktische Einschübe, die Nutzung der höheren Lagen und interessante musikalische Themen. Intavolaturen, also Bearbeitungen von Vokalsätzen – teils geistlicher Musik – wunderschöne Saltarelli stimmen das Bild ab.

Noch eindrucksvoller erscheint uns:

Simone Molinaro (ca.1570-1634)    - Intavolatura di Liuto Primo  (Venedig 1599)

Die Geburtsdaten dieser Komponisten sind nicht gesichert und müssen noch erarbeitet werden. Molinaro, als der bedeutende Schüler des so tragisch ums Leben gekommenen Lautenisten Giovanni Battista dalla Gostena führte nach dessen Tod die Stellung des Kapellmeisters in der Kathedrale von San Lorenzo weiter. Er verarbeitete in seinen teilweise sehr anspruchs-vollen Kompositionen u.a. Intavolaturen von Psalmen, Motetten, Fantasien und Saltarellos von zauberhafter Impression und seine Stücke weisen sich durch ein hohes Niveau an musikalischer Reife und Spieltechnik aus.

Michelangelo Galilei (nach 1575)     - I. Libro d’Intavolatura di Liuto (München 1631)

Das Geburtsdatum stammt aus seinem Horoskop, welches von seinem Bruder G. Galilei erstellt wurde. Die Familie Galilei hat zwei bedeutende Lautenisten hervorgebracht. Vincento Galilei, der Vater des großen Naturwissenschaftler Galilei Galilei war ein großer Renaissance-Lautenist. Der Bruder des genialen Naturwissenschaftlers Michelangelo, der als einer der Vorbereiter des Lauten-Barock angesehen werden darf, besetzte eine Stellung als Lautenist am Bayrischen Hof.

Seine Musik, im „Styl-brisse“ geschrieben, ist sehr hochwertig und hintergründig . Seine Dissonanzbehandlung erinnert an die Manier des außergewöhnlichen Lautenisten und Virtuosen J. H. Kapsberger (1604 -1650) und er setzte in sehr geschickter Art und Weise konsequent alle tiefen Bass-Chöre der Laute in seinen Kompositionen mit ein. Seine Werke sind  bemerkenswerte Beispiele für die Tatsache, dass sie ausschließlich für die 10-chörige Laute komponiert wurden(sic) und das sie in ihrer Tiefe und Klangfülle zu den schönsten Werken des Früh-Barock gelten mögen.

Unter den  Vertretern Deutschlands finden wir Elias Mertel und Georg Leopold Fuhrmann.

Elias Mertel (?)                                 - Hortus musicalis  (Straßburg 1615)

In seinem Werk finden wir neben den üblichen Bearbeitungen, Intavolaturen und Fantasien eine Fülle von Praeludien, die einen fast romantischen Eindruck beim Zuhörer hinterlassen. Mertel schwelgt in harmonischen und interessant gesetzten Sequenzen , die zumeist in zweistelligen  Folgen genutzt werden. Erst Bach forderte, dass in der Sequenzfolge die Drei nicht überschritten werden sollte.

Georg Leopold Fuhrmann (1578 -1616)  - Testudo Gallo Germanica   (Nürnberg 1615)

In seinem umfangreichen, mehr als 600 Seiten umfassenden Tabulaturbuch finden wir John Dowland, Diomedes, H. L. Hasler, L. Romanus, Fuhrmann selber, E. Mertel und viele andere Vertreter unserer Zunft. Mit Sicherheit ist sein Werk eines der bedeutungsvollsten Lautenwerke überhaupt. Die Auswahl der Stücke ist sehr anspruchsvoll und liegt weit über dem Schwierigkeitsgrad normaler Anforderungen hinsichtlich von Musikalität und Technik.

Aus dieser Situation heraus begibt man sich in Frankreich auf die Suche nach neuen Wegen. Der gerade begonnene Frühbarock stellt neue Ansprüche an die Komponisten und deren Instrumente. Neue musikalische Formen treten in unser Erscheinungsbild und eine fieberhafte Suche nach der richtigen Lösung bestimmt die Entwicklung.

Zunächst erschien es so, dass die 10-chörige Laute, die etwa gegen 1620-30 (Matteo Sellas – Venedig) ihren Höhepunkt hinsichtlich ihrer Bauweise, Mensur und Klangstruktur erreichte, die Ansprüche der neuen Idealisten erfüllen würde (vide Michelangelo Galilei). Aber das Gegenteil war der Fall! Unter unsäglichen Mühen wurde die Barocklaute entwickelt. Dabei entstanden die abenteuerlichsten Formen und Stimmungen. Allein was die Stimmung des neuen Instrumentes betrifft, probierten die Lautenisten mit mehr als an die 30 verschiedenen Möglichkeiten. Man ahne, der Logos hatte das gesamte Programm übernommen.

Die musikalischen Formen wie die Passacaille und die Chaconne forderten neue tiefere Chöre und die Suite eroberte die Lautenisten. Was in der Renaissance die Fantasia bedeutet, wurde in der neuen Epoche die Suite in ihrer Folge bekannter Tanzformen.

Es gab auch Lautenisten wie z.B. Giovanni Zambini der seine Suiten als Sonaten bezeichnete, - wie später auch L.S.Weiss u.a. -  die in der üblichen Form europäischer Tänze wie: Prelude, Allemande, Courante, Sarabande, Gavotte und Gigue komponiert und ausgeführt wurden. Mit der Sonatenhauptsatzform, die etwa 120 Jahre später eine neue Epoche eroberte, hat diese Form der Sonaten des 17. Jahrhunderts nichts zu tun.

Der Mythos hatte sich in die „seligen Gefilde“ zurückgezogen. Sicherlich gab es Versuche den Mythos zu erreichen.

Wir denken an:

Denis Gaultier (1610-1672)

 

- La Rhetorique des Dieux    (1757)

 

Edmond Gaultier (1635-1683) - Pieces de luth sur trois differens modes nouveaux  (ca. 1650)
  Seine Suiten erschienen auch in “Livre de Tabulature”
  Herausg. Denis Gaultier 1672

Denis Gaultier betitelt seine Suitenteile mit höchst inspirativen Namen wie beispielweise:

Adromede, Diane, Atalante, mars superbe, Cleopatre amante u.a.. Alles Bezeichnungen, die aus dem Mythos entlehnt wurden. Dasrhythmische Metrum orientiert sich, z. B. als lazive gespielte punktierte Achtelwerte unter anderem angelehnt an die sogenannte cakewalk-Figur (1/16-1/8-1/16), eigentliche  Jazzrhythmiken, die hier grundsächlich für die Achtelnotierung stehen und  beim Zuhörer spannende und verträumte, inspiritative und meditative Eindrücke hinterlassen. Aus der Schule der Gaultier‘s sind viele ausgezeichnete Barocklautenisten hervorgegangen. So finden wir unter den Vielen Namen wie: Mouton, Gallot, Du But ,Du Faux, Phillip Franz le Sage de Richee u.a. Ein anderer Musiker, Francesco Corbetta (1620-1748), der am Hofe Ludwig des 14. wirkte,  begründete ebenfalls eine bedeutende Schule aus denen Lautenisten und Gitarristen (Barockgitarre), wie z. B. Robert de Visee (1660-1720), der ebenfalls als Theorbist und Gitarrist am Hofe angestellt war, hervorgingen.

Es gibt einer Fülle von nennenswerten Barocklautenisten, die hier leider aus Platzgründen nicht erwähnt werden können. Allerdings müssen wir auf das vielleicht größte Genie der barocken Lautenkunst Leopold Silvius Weiss eingehen. Neben den deutschen Lautenisten wie: E. Reussner, Matthäus Reymann, E. G. Baron, A. Falkenhagen, J. Laufensteiner, Meusel, J. G.Conradi u.a. tritt der Lautenist L. S. Weiss als  Musiker, Komponist und Virtuose als letzter bedeutender Lautenist deutlich aus diesem Kreis hervor.

Leopold Silvius Weiss (1686-1750) Intavolatura di Liuto
  Königsburger Manuscript
  Moskauer Manuscript
  Dresdner Manuscript
  Swan Manuscript

L.S. Weiss stellt die Idealfigur des Barocklautenisten dar. Virtuose Lautentechnik, Kompositionen von höchstem Anspruch, nominierter Kammermusikmeister, meisterhafter improvisierender Continuo-Spieler und Theorbist; -  und schöpferische Energie bis in Alter. Er pflegte eine gute Freundschaft mit J. S. Bach, war mit einer Lautenistin verheiratet und hatte sieben Kinder.

Er bereiste als konzertierender Lautensolist viele deutsche Städte, residierte in Polen, und Prag, um schließlich  seine Heimat in Dresden zu finden. Die Fülle seines Schaffens ist gigantisch und durchweg sind seine Kompositionen von hohem Niveau. Man  müsste ein Buch über ihn schreiben und unsere wenigen Zeilen werden ihm in keinerlei Weise gerecht. Mit diesem Urgestein eines Musikers nähert sich der Lautenbarock seinem Ende zu.

Man kann nach Weiss noch Lautenisten wie z.B. David Kellner (1747- Auserlesene Lautenstücke) und einige andere Lautenisten erwähnen, aber die Vollendung der Lautenkunst wurde in krönender Weise durch L. S.Weiss vollzogen. Erneut begann sich die musikalische Welt zu verändern. Die Phänomenologie tritt nun noch deutlicher in unser zeitliches Erscheinungsbild.

Der Ruf nach lauteren Instrumenten degradierte die Lauten und Lautenspieler derart, dass kaum noch nach ihnen gefragt wurde. Es gab immer weniger herausragende Solisten und man musste als Lautenist als Continuospieler sein musikalisches Dasein fristen.  Die Theorbe wurde nun benötigt, Rasgueadoanschläge auf der Barockguitarre brauchte es um noch ein wenig gehört zu werden. Nun, nur die Wahrheit ist beständig und Wirklichkeit sucht ihre Bestätigung  und Bestimmung in der Veränderlichkeit.  Wen wundert es, dass die Laute aus den Klöstern, Kirchen und Konzertsälen verschwand. Nach Ausbruch der  Französischen Revolution (1789) wurden auch die Clavicorde und Cembalie, gleich mit zerstört und das sogenannte Hammerklavier eroberte allmählich die Salons und Konzertsäle.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts führte die Geltungssucht frustrierter Haustöchter dazu dieses Instrument über Gebot zu maleträtieren (Theodor Adorno). Die Situation war eindeutig und unveränderlich. Die Lauten, ihre Musik und Ihre Interpreten verschwanden aus dem Bewusstsein der Menschen und ganz Europa suchte nach Ufern neuer Erfahrungen.